Ein failed state, LKWs und niemand will mehr V-Person werden

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Wie ein schlechter Krimi hört sich an, was in den letzten Tage in den Medien zu lesen ist. Ein LKW, der auf seinem Weg nach Berlin gestoppt werden sollte, ein Innenminister, der seinem eigenen Amt misstraut und Behörden, die Existenzängste bekommen.

Die taz berichtet von einem Telefonat des Thüringer Innenministers Jörg Geibert (CDU) von Thüringen mit dem Vorsitzenden des NSU-Untersuchungsausschusses Sebastian Edathy, in dem die Rede von Thüringen als failed state war. Ungewöhnlich harte Worte, werden doch im politikwissenschaftlichen Sinne unter failed states Länder bezeichnet, deren Staatsgewalt ihre Leistungen nicht mehr in nennenswerter Weise erfüllen (Wikipedia). Aus Sorge, „interessante Bestandteile“ (Stern) der Akten könnten verschwinden, wenn sie von Mitarbeiters des VS Thüringen kopiert werden, überging Geibert das Landesamt und ließ das Kopieren von 80 Bereitschaftspolizisten erledigen, packte sie in einen LKW und ließ sie am 28. September nach Berlin fahren.

Dass die Akten ungeschwärzt – also auch mit den Klarnamen der V-Leute-Führer, aber ohne die Namen der V-Leute selbst (FAZ) – auf den Weg nach Berlin geschickt worden waren, alarmierte die Sicherheitsbehörden und Innenminister der anderen Bundesländer. Schnell machte das Wort von Geheimnisverrat die Runde, so der Spiegel. Doch einige der beteiligten Sicherheitspolitiker wollten wohl mal richtig Geheimdienst spielen und sollen laut Thüringer Allgemeinen versucht haben rauszubekommen, auf welcher Route sich die beiden weißen LKWs befinden, um diese zu stoppen – doch diese fuhren ohne GPS auf unbekanntem Weg nach Berlin. Laut der Zeitung stelle sich in hochrangigen Sicherheitskreisen „ernsthaft die Frage, ob das Thüringer Landesamt für noch als Nachrichtendienst oder eher als Nachrichtenagentur zu verstehen sei.“

In Thüringen wird derweil über den Umbau des Geheimdienstes diskutiert, der zukünftig kein eigenständige Behörde, sondern eine Abteilung des Innenministeriums sein soll berichtet die Thüringer Landeszeitung. In Berlin und Sachsen-Anhalt ist dies bereits schon seit Jahren der Fall.

Unterdessen versuchen die Sicherheitsbehörden zu retten mit einer „PR-Offensive“ zu retten, was zu retten ist. Publikative analysiert die Reaktionen aus Sicherheitskreisen und die kolportierten Meldungen, dass die Behörden keine V-Leute mehr finden würden (Spiegel Online) – und bringt die unkritische Berichterstattung dazu auf den Punkt – die im Falle des NSU an vielen Stellen zu beobachten ist:

Nichts spricht dagegen, Hintergrundgespräche zu besuchen und Sicherheitskreise zu zitieren – aber eine Einordnung des Gesagten oder eine kritische Stimme dazu dürfte es vielleicht dennoch sein, so wie es in mehreren Berichten auch der Fall ist, aber eben längst nicht in allen. (Publikative)

Eine ausführlichen und lesenswerten Hintergrundbericht zu den und den Umgang der Behörden mit militanten Nazis liefert ein Gastartikel auf dem Weblog des antifaschistischen Newsflyers gamma: Schützt der Verfassungsschutz die “Hammerskins”?

Die Thüringer Allgemeine beleuchtet bislang unbeachtete Aspekte und macht sich Gedanken, ob das Schreddern von Akten auch gegen das Archivrecht des Landes verstößt und evtl. sogar den Tatbestand des Verwahrungsbruchs im Strafgesetzbuch erfüllt. Ein interessanter Aspekt, der bislang in der Diskussion um die -Affären in den deutschen Geheimdienst-Behörden noch keine Rolle gespielt hat.

Unter dienstlicher Verwahrung werden laut dem zugehörigen Kommentar auch Akten bei Behörden verstanden. Dazu zitieren wir StGB §133 – Verwahrungsbruch:

(1) Wer Schriftstücke oder andere bewegliche Sachen, die sich in dienstlicher Verwahrung befinden oder ihm oder einem anderen dienstlich in Verwahrung gegeben worden sind, zerstört, beschädigt, unbrauchbar macht oder der dienstlichen Verfügung entzieht, wird mit Freiheitsstrafe bis zu zwei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft.

(3) Wer die Tat an einer Sache begeht, die ihm als Amtsträger oder für den öffentlichen Dienst besonders Verpflichteten anvertraut worden oder zugänglich geworden ist, wird mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder mit Geldstrafe bestraft.