Ohne Hakenkreuz keine Nazis – Erkenntnisse aus dem Berliner Untersuchungsausschuss

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Erschienen in Lotta #49 (Herbst 2012)

Immer wieder sehen sich die Mitglieder des NSU-Untersuchungsausschuss des Bundestages mit Ignoranz, Verschweigen und Vertuschungsversuchen deutscher Behörden konfrontiert. Heute behaupten die Beamt_innen, dass sie im Zuge der auch immer wieder an ein rassistisches Motiv gedacht hätten – und doch taten sie alles, um derartigen Hintergründen nie nachgehen zu müssen.

Am 9. Juni 2004 explodierte eine Nagelbombe in der Keupstraße in Köln-Mühlheim. Die Bombe hatten die Täter auf ein Fahrrad montiert und per Fernauslöser gezündet. Bei dem Anschlag wurden 22 Personen durch herumfliegende Nägel teils schwer verletzt und mehrere Geschäfte stark beschädigt. Die Täter wurden zwar von einer Überwachungskamera aufgenommen, doch tappten die Behörden bis zum Auffliegen des NSU im Dunkeln.

Fünf Jahre zuvor, im Frühjahr 1999, hatte es drei Anschläge in London gegeben. Auch hier wurden Bomben aus Nägeln und Schwarzpulver gebaut; zwei wurden in mehrheitlich migrantisch geprägten Stadtteilen gezündet, eine war gegen einen bekannten Homosexuellen-Treffpunkt gerichtet. Doch anders als in Köln bekannte sich die neonazistische Terrorgruppe zu den Anschlägen. , früherer Anhänger der und organisierter Neonazi, wurde als Attentäter identifiziert und später auch verurteilt.

Keine Ähnlichkeiten?

Die Parallelen beider Anschläge seien ihnen auch aufgefallen behaupten die Ermittler_innen heute. Doch schon einen Tag nach dem Attentat schlossen der damalige Innenminister Otto Schily und sein Kollege aus NRW, Fritz Behrens, ein politisches Motiv aus. Woher sie die Sicherheit dazu nahmen blieb ihr Geheimnis. Das zuständige LKA fügte schon kurz nach der Tat seiner anfängliche Einschätzung „terroristischer Gewaltkriminalität“ das Wort „keine“ hinzu. Umso engagierter ermittelten die Kölner in andere Richtungen: Beim Stichwort Keupstraße habe man an „das ein oder andere Verfahren im Bereich der organisierten Kriminalität gedacht“ und an „Auseinandersetzungen mit politischem Hintergrund zwischen Kurden und nationalistischen Türken“, so der leitende Oberstaatsanwalt Rainer Wolf.

Intensiv untersuchte die Polizei das Umfeld der Keupstraße und setzte dort verdeckte Ermittler_innen gegen die Bewohner_innen und Familien der Opfer ein. Fast zwei Jahres waren diese unterwegs und berichteten in ihrem Abschlussbericht, dass die Anwohner_innen der Keupstraße von einem extrem rechten Hintergrund der Tat ausgingen und diese auch in Zusammenhang mit der Ceska-Mordserie bringen. Doch ihnen wurde nicht geglaubt. Dabei waren das bei weitem nicht die einzigen Hinweise. So hatten Zeugen nach dem Mord an İsmail Yaşar am 5. Juni 2005 in Nürnberg zwei Männern auf Fahrrädern gesehen. Es gab ein Phantombild, das frappierende Ähnlichkeiten mit dem in Köln 2004 erstellten Bild aufwies. Ein möglicher Zusammenhang wurde jedoch nicht weiter verfolgt.

Weil die Kölner Polizei nicht weiterkam, fertigte erst das LKA eine Fallanalyse an, später das BKA eine weitere. Mit derartigen Methoden wird bei ungeklärten Fällen ein mögliches Motiv und Profil der Täter_innen entwickelt. Von zwei Männern, die „gegen Türken agiert haben“ ist darin die Rede, von einem „fremden-“ bzw. „türkenfeindlichen“ Motiv. Die Täter hätten Erfahrung mit Sprengstoff und seien auch vielleicht schon straffällig geworden, so die Analytiker vom BKA. Doch da es kein neonazistisches Bekennerschreiben gab, gingen die Kölner Behörden weiterhin von zwei Personen aus, die aus „persönlichen Motiven die Bombe in der Keupstraße platzierten“. Vor dem Untersuchungsausschuss sagen die Ermittler_innen aus, sie haben sich nicht vorstellen können, dass die Täter nicht aus dem Kölner Raum stammten, da die fertige Bombe nicht über längere Strecken transportiert werden konnte.

Fehlendes politisches Gespür

Sein fehlendes politisches Gespür offenbarte der Leiter der Kölner Ermittlungen vor dem Untersuchungsausschuss. Einige Monate nach dem Anschlag wurde in einer Kölner Straßenbahn ein Flugblatt gefunden, dass gegen die Bewohner_innen der Keupstraße hetzte, den Anschlag als „Zeichen von Protest“ bezeichnete und mit den Worten „Deutsche wehrt Euch!“ endete. In den Akten wurde dies mit dem Vermerk „Widerstand gegen Ausländerfeindlichkeit“ abgelegt. Der Leiter der Soko ist weiterhin der Meinung, dass es auch ein linker Flyer gewesen sein kann: „Aus meiner Sicht lässt das Flugblatt beide Richtungen auf“, sagte er in seiner Aussage vor dem Ausschuss. Bis heute gibt er sich überzeugt, alles Erdenkliche getan und keine Fehler gemacht zu haben, nur hätten „dummerweise […] keine Ermittlungen von uns zum richtigen Ergebnis geführt“.

Das ist nicht weiter erstaunlich. Zu einem Vergleich des Bundesamtes für Verfassungsschutz mit den Londoner Anschlägen weiß der frühere Soko-Leiter noch, „dass irgendwann mal das mit England Thema war“. Von neonazistischem Terror, seinen Konzepten oder Combat 18 hat er allerdings bis heute kein Ahnung: „aber ich erinnere mich nicht an die Gruppe namens Kombat… ich kann das gar nicht aussprechen“. Der Verfassungsschutz lieferte auch die Namen von vier in Frage kommenden Nazis – die Suche der Behörde war auf den Kölner Raum beschränkt. Daher liefen auch Anfragen an die Sprengstoffdatei des BKAs ins Leere. In der Datei werden alle mit Sprengstoffdelikte aufgenommen und können mit anderen verglichen werden. Beim Anschlag auf die Wehrmachtsausstellung 1999 in Saarbrücken geriet so auch das Zwickauer Trio Mundlos, Zschäpe und Böhnhardt ins Raster, das ein Jahr zuvor untergetaucht waren. Doch da man immer von Täter_innen aus Köln ausging waren die Anfragen ebenso wenig erfolgreich. Heute ist bekannt, dass Thomas S., ab 2000 V-Mann des Berliner LKA, den NSU in den 1990er-Jahren mit Sprengstoff beliefertet haben soll. Offenbar ein weiterer Zusammenhang der hätte hergestellt werden können.

Ahnungslosigkeit, Ignoranz, Diffamierung

So wenig engagiert sich die Kölner Mordkommission bei ihren Ermittlungen in Richtung Rassismus zeigte, so kreativ war sie bei anderen Spuren. Nachdem sich eine Hellseherin als Zeugin gemeldet hatte, scheuten die Ermittler_innen keine Kosten und Mühen und fuhren „obwohl es teuer war“ zu ihr nach München. Dort setzten sie sich gemeinsam vor ihren Kassettenrekorder und hörten sich das Rauschen des Bandes an. Nachdem die Polizisten keine Stimmen hören konnten, übersetzte die Zeugin die Botschaften für sie, was aber auch nicht zur Aufklärung beitrug.

Nach der Ermordung des Dortmunder Mehmet Kubaşık im Frühjahr 2006, dem dritten Anschlag des NSU in NRW, gab es schon eine Fallanalyse zur Ceska-Mordserie. Darin wurde die Theorie eines Einzeltäters mit extrem rechtem Hintergrund gezeichnet. Dennoch wurde nicht gezielt in Richtung Neonazis ermittelt – denn auch hier gab es „keinerlei Spuren“. Beim Staatsschutz wurde nicht nachgefragt, denn es wurde erwartet, dass „jeder Sachbearbeiter seinen Kopf anstrengt und sich meldet“. Ergebnisse wären vermutlich ohnehin nicht zu erwarten gewesen.
Die Ahnungslosigkeit der Behörden zeigt im Untersuchungsausschuss auch, wenn es um den ersten NSU-Bombenanschlag in Köln, 2001 auf ein Lebensmittelgeschäft in der Probsteigasse geht. Der Leiter der Ermittlungen ist der Meinung, es hätte geschmierte Hakenkreuze oder ähnliches geben müssen, um an Nazis zu denken.

Die Arbeit des Berliner NSU-Untersuchungsausschusses, die Einblicke in die damaligen Ermittlungen ermöglicht, zeigt die völlige Ignoranz der ermittelnden Sonderkommission bei der Suche nach einem möglichen extrem rechten Hintergrund des Anschlags. Fleißig wurden Motive aus dem Bereich der organisierten Kriminalität, der Schutzgelderpressung oder gar dem „Lieferantenmilieu“ von Imbiss-Betreiber_innen ohne Anhaltspunkte herbeikonstruiert. Den Opfern und ihrer Angehörigen, die – nicht nur in Köln – die Botschaft der Täter richtig interpretierten schenkten die Ermittler_innen umso weniger Gehör. Stattdessen gerieten sie als mögliche Verdächtige ins Fadenkreuz. Sie wurden diffamiert und kriminalisiert, statt Unterstützung schlug ihnen Misstrauen entgegen. Die entpolitisierende Ermittlungspraxis, die Opfer rassistischer Gewalt oft erleben, zieht sich auch durch die Ermittlungen der NSU-Mordserie und der Bombenanschläge. Köln ist hier nur ein Beispiel unter vielen.

Felix Hansen

Hinweis: Die Zitate stammen aus dem Untersuchungsausschuss des Bundestags, der sich Anfang Juli mit den Anschlägen in NRW beschäftigte.